Jeschuath haSchem – keHeref Ayin. „G’ttes Rettung in einem Augenblick.“ Raschi erklärt „Augenblick“ im Babylonischen Talmud, Schabbath, 34b: So schnell wie ein spontanes Augenzwinkern, nicht mit Absicht, sondern im entspannten Zustand des Augenlides. Die Gedanken, besonders wenn sie in Worte gekleidet werden, besitzen eine magische Kraft. Sie erschaffen eine neue Realität. Ein übertriebener Optimismus aus der verwöhnten Haltung eines Menschen heraus, dem es sehr gut geht, heißt Überheblichkeit. Ein Mensch, der die Kraft findet, optimistische Gedanke zu entwickeln, während es ihm sehr schlecht geht, steht G’tt sehr nah.
Als die Nachricht über die Übergabe der Leichen der drei ermordeten Bibas uns erreichte, war es sehr schwer, einen Schrei in Richtung Himmel zurückzuhalten: „Und das duldest DU in DEINER Welt?“ Reicht es nicht, dass wir bereit waren, Unmengen von inhaftierten Terroristen freizulassen, um das unschätzbare zu bezahlen – die Leben der Geiseln? Dann kam die zynische Ansage der Mörder: Die Leichen der drei Bibas werden zum Handel angeboten. Was kann schlimmer sein? Gegen eine Verbrecherbande kämpfen zu müssen, mit der man keinen Frieden schließen kann, weil einfach kein Gegenüber am Verhandlungstisch sitzt, sondern ein Haufen von Unmenschen, die das Leben ihrer Kinder genauso verachten wie das Leben unserer Kinder?! Doch gerade wenn die Nacht am finstersten ist, ist der Sonnenaufgang nah.
Die magische Redewendung „G’ttes Rettung in einem Augenblick“ stammt aus einer Aussage des Propheten Jeschajahu, der sozusagen 7.10.23 in mehrfacher, schrecklicher Größe erlebte. Die Assyrer versuchten im Jahre 722 und dann 701 v.u.Z. Angst und Schrecken zu verbreiten, indem sie gegen wehrlose Kriegsgefangene, Schwangere und Kinder eine unvorstellbare, bestialische und sadistische Grausamkeit als Kriegsstrategie der Einschüchterung anwendeten. 701 stand das riesige, gut organisierte und kriegserfahrene assyrische Heer vor der Stadtmauer Jeruschalaims. Der oberste Befehlshaber Raw-Schake drohte in einem groben Wortlaut: Euch wird dasselbe geschehen, was all den kleinen Völkern passierte, die sich nicht rechtzeitig ergeben haben. Es war nicht bloß der Tod. Die unsäglichen Foltermethoden der Assyrer hatten sich längst herumgesprochen. In dieser Situation spricht Jeschajahu seine mutigen Worte: „Ihre Rettung wird nicht zu spät kommen (Kapitel 46, Vers 13).
Fast niemand konnte sich vorstellen, dass die Belagerung Jeruschalaims anders ändern würde als die der blühenden Küsten-Metropole Lachisch. Nachdem die Stadt gestürmt und zerstört wurde, stellten die Assyrer die Überreste der gemarterten Körper der Stadtbewohner zur Schau. Im Jahre 701 verabschiedeten sich die Eltern von Kindern und Eheleute in Jeruschalaim und beteten für einen schnellen Tod. Alles andere schien unrealistisch zu sein. Ein Optimist ging durch die Straßen Jeruschalaims und wurde gewiss ausgelacht und angefeindet, als er predigte: „Die Assyrer werden sich verziehen. Die Goldene Stadt wird nicht fallen.“ Als er gefragt wurde, wie soll das denn gehen, antwortete er vermutlich mit einem glücklichen Lächeln: „Keine Ahnung!“ Dabei dachte er: „Die unbegrenzten Möglichkeiten G’ttes übersteigen unsere begrenzte Fantasie!“
Wie soll das im Jahr 2025 enden, während wir mit zusammengebissenen Zähnen sich selber sagen müssen: „Wir werden nicht im Ozean der Trauer ertrinken, nachdem wir erfahren haben, was die Mörder von Gaza mit der Mutter und den beiden Kleinkindern gemacht haben!“ Die Botschaft des Festes Purim, des großartigsten aller Feiertage, das wir bald zelebrieren werden, lautet aber: „Wir sind Schauspieler auf der Bühne der Geschichte. Der Regisseur hat ein Happy End bereits geplant, das außerhalb unserer kühnsten Hoffnungen liegt.“
Alles schien aussichtslos, als Haman die Auslöschung der Juden genauso akribisch plante, wie die Endlösung während der Wannsee-Konferenz geplant wurde. Alle waren gegen uns. Selbst die First Lady, die ihren jüdischen Namen Hadassa gegen einen heidnischen Namen Esther (abgeleitet von der Gottheit Astartha-Ischtar) eintauschte. Sie zeigte Mordechai zuerst die kalte Schulter, als er sie angefleht hatte, zum König zu gehen und für ihr Volk zu bitten: „Ich werde Euch nicht retten, aber mich selber in Gefahr bringen!“ Auf Wunder zu hoffen, bedeutet nicht, untätig zu sein. Bevor Mordechai alles andere tut, um ein Wunder zu ermöglichen, sagt er zu Esther: „Bilde Dir nicht in Deiner Seele ein, im königlichen Palast gerettet zu werden!“ Sie hört das und begreift augenblicklich, dass ihre Unterscheidung zwischen „euch“ (Juden) und „mir“ (Königin) falsch war. Es gibt nicht „ihr“ und „mich“. Es gibt nur „uns“. Sobald die Pogrome beginnen, werden die Assimilierten nur einen Vorteil haben: später ermordet zu werden.
Während ich diese Zeilen schreibe, lese ich über eine „aufgeklärte“ Gruppierung der Juden in der Schweiz, die über die „Besatzung des Westjordanlandes“ und „Unterdrückung der Palästinenser“ ach so besorgt sind. Über das Schicksal der Familie Bibas sowie von anderen Geiseln scheinen sie weniger besorgt zu sein. Ebenso wenig scheinen sie zu wissen, dass „Westjordanland“ eine antisemitische Bezeichnung des uralten biblischen Kernlandes ist: Jehuda und Schomron.
Wie gerne würde ich mit diesen „Aufgeklärten“ (die sich über uns arme Obskuranten gedanklich erheben), die Heilige Schrift studieren! Beginnen würde ich mit Megillath Esther. Wie naiv ist es, sich nicht mal im königlichen Palast, sondern im Luftschloss des „fortschrittlichen Humanismus“ in Sicherheit zu wähnen! Ich wünsche diesen Schöngeistern nie zu erfahren, wie wenig unsere Feinde zwischen „guten Juden“ und „schlechten Juden“ unterscheiden. Ebenso wenig wissen sie, dass diese Bezeichnungen in der deutschen Sprache eine Tradition besitzen. Adolf Hitler verwendete sie gern.
Wie sollen wir die Hoffnung aufrechterhalten, dass zahlreiche Nichtjuden endlich aufhören, Pro-Hamas zu sein, wenn ein Teil von uns Juden Aussagen machen, über die sich Antisemiten in Politbüros von Hamas und Hisbollah freuen würden? Während die Leichen von Kfir Bibas und Ariel Bibas übergeben werden; während anstelle der Leiche der Mutter Schiri Bibas ein anderer Leichnam unterschoben wird, – sind diejenigen, die sich für „gute Juden“ halten, „um die Situation im Nahen Osten besorgt.“ Wenn, – G’tt behüte! – bewaffnete Sadisten in ihre Häuser eingebrochen wären um neunmonatige Babys, vierjährige Kinder und junge Mütter zu verschleppen, und dann in der Gefangenschaft zu ermorden, wären sie „um die Situation im Kanton Zürich besorgt“?!
Nicht mal der riesige Ausbruch des Antisemitismus weltweit macht mir persönlich so viel Sorgen, wie der Selbsthass und Überheblichkeit von denjenigen, die sich innerhalb des königlichen Palastes in Sicherheit wähnen. Doch gerade aus dieser Verzweiflung ist eine Hoffnung zu schöpfen, dass der Schöpfer auch diesmal seinen Plan mit uns hat. Die scheinbar unabwendbare „Endlösung“ von Haman wurde in eine nationale Rettung umwandelt. Nicht nur die Feinde wurden vernichtend besiegt, sondern auch der Sonnenaufgang einer neuen Epoche der Rückkehr in das Gelobte Land wurde durch die finsteren Ereignisse eingeleitet, über die wir in der Megillath Esther lesen.
Sind auch diese Zeilen von dem gegenseitigen Hass der Juden gegen Juden erfüllt, weil ich mir erlaube, die Haltung der „aufgeklärten Humanisten“ für töricht zu erachten? Ganz und gar nicht! Denn ich wünsche ihnen, nicht aus einer bitteren Erfahrung lernen zu müssen, dass unsere Feinde sich gar nicht darum scheren, ob ein Jude links oder rechts im politischen Spektrum steht. Vielmehr wünsche ich Ihnen dieselbe Verwandlung, die die Königin Esther durchgemacht hatte, bevor sie ihr Volk rettete. Trotz ihrer atemberaubend hohen Position erinnerte sie sich: Sie ist die Jüdin Hadassa.
Chodesch Tov und Purim sameach!